Ist der Flüchtlingskrise im Mittelmeer noch beizukommen?
Humanitäre Krise
Weltweit sind etwa 65 Millionen Menschen auf der Flucht. Kriege, wirtschaftliche Misere oder Diskrimination treiben immer mehr Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und etwa nach Europa überzusiedeln. Da die sogenannte Balkanroute seit dem Flüchtlingsabkommen mit der Türkei weitgehend geschlossen ist, gelangen immer mehr Menschen per Boot aus nordafrikanischen Ländern wie Libyen oder Marokko nach Italien und Spanien, oder versuchen es zumindest. Die größte Anzahl der Migranten stammt aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara und die italienischen Behörden schätzen, dass dieses Jahr 300 000 Migranten über das Mittelmeer illegal nach Europa gelangen könnten. Im vergangenen Jahr sind schätzungsweise 5000 Menschen bei der riskanten Überfahrt im Mittelmeer ertrunken.
Bei günstigen Wetterbedingungen werden die von Schmugglern eingesetzten Schlauchboote mit bis zu 170 Menschen besetzt und begeben sich auf die waghalsige Überfahrt, meistens um vor der Küste Italiens einfach den Seenotrettungsdiensten überlassen zu werden. Den Migranten droht dabei Tod durch Ertrinken, immer wieder werden auch Boote entdeckt, deren Insassen nach einem Motorschaden verhungerten oder verdursteten.
Schiff mit Flüchtlingen
Mädchen in Flüchtlingslager
Flüchtlinge oder Migranten?
Ob eine Person als Flüchtling oder Migrant eingestuft wird, bringt unterschiedliche internationale Obligationen mit sich und kann über Leben oder Tod entscheiden.
Personen, die über ein Jahr lang in ein anderes Land ziehen, werden als Migranten bezeichnet. Meistens sind diese Menschen auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben, diese internationalen Migranten werden als Wirtschaftsmigranten bezeichnet. Innerhalb der EU unterliegen diese Personen den Einwanderungsbehörden und benötigen unter Umständen für die Einreise ein Visum.
Als Flüchtlinge wiederum werden Menschen bezeichnet, die vor einem bewaffneten Konflikt oder Verfolgung in ihrem Land geflohen sind. Ist eine Rückkehr in ihr Land zu gefährlich, haben Flüchtlinge gemäß dem Genfer Flüchtlingsabkommen von 1951 Anspruch auf Schutz. Wurde einer Person der Status als Flüchtling anerkannt, hat sie Anspruch auf eine Unterkunft und soziale Leistungen, sowie Unterstützung bei der Integration im Aufnahmeland.
Syrische Flüchtlinge erreichen Lesbos
Schleuser setzen auf NGOs
Zivile Seenotretter versuchen ihrerseits, so viele Flüchtlinge wie möglich auf hoher See zu retten. Doch die Aussicht auf Rettung scheint den Flüchtlingsstrom noch verstärkt zu haben, denn die Masche der Menschenhändler besteht darin, Gummiboote mit so vielen Menschen wie möglich zu beladen und sie mit gerade genug Sprit auszustatten, dass sie es bis in internationale Gewässer, das heißt 12 Meilen über die libysche Küste hinaus, schaffen. Die Geflüchteten berichten, teilweise auf die völlig überfüllten Boote gezwungen worden zu sein und es besteht kaum Zweifel, dass die Schlepper es nie vorhatten, mit den Gefährten bis nach Italien zu fahren, sondern diese kalkuliert den Seenotrettern überlassen.
Die gut gemeinten Rettungseinsätze erweisen sich also als eher kontraproduktiv, ein Rettungsschiff einer deutschen Organisation wurde in diesem Zusammenhang vor Lampedusa beschlagnahmt, da der Hilfsorganisation das Einschleusen von Ausländern vorgeworfen wurde. Auf Drängen der italienischen Regierung, die dem hohen Aufkommen an afrikanischen Flüchtlingen nicht mehr gewachsen ist, wurden die gefährlichen Missionen der durch Spenden finanzierten NGOs jüngst eingestellt. Libyen hat seinerseits den Seenotrettern verboten, das Gebiet vor seiner Küste anzusteuern und so die verzweifelten Migranten auf die Boote zu locken.
Rettung von einem sinkenden Boot
Fluchtursachen bekämpfen
Um die andauernde humanitäre Krise einzudämmen und zukünftige Katastrophen zu verhindern ist dem EU-Parlament klar, dass die Fluchtursachen bekämpft und die Lebensbedingungen in afrikanischen Ländern verbessert werden müssen. Dazu gehört beispielsweise die Eindämmung der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram, die in den westafrikanischen Ländern Nigeria, Kamerun und Benin, sowie im zentralafrikanischen Niger und Tschad, wütet. Rund zwei Millionen Menschen sind dort auf der Flucht vor Boko Haram. Laut dem Kinderhilfswerk UNICEF ist die Lage der Geflüchteten vergleichbar mit Zuständen zu Zeiten des Bürgerkriegs Ende er 60er Jahre, wenn nicht noch schlimmer. Terror, Kidnapping und Tod durch Verhungern sind dort grausame Realität, dennoch erhielt die katastrophale humanitäre Situation sehr viel weniger Aufmerksamkeit als der Konflikt in Syrien.
Durch den Bürgerkrieg im Südsudan sind ebenfalls mehr als 1,5 Millionen Menschen vor Massakern, Kidnapping und Vergewaltigungen auf der Flucht. Die meisten davon befinden sich in Auffanglagern in Kenia und fünf weiteren benachbarten Staaten.
Seenotrettung birgt Boot voller Leichen
Das Durchschnittsalter in Afrika beträgt heute gerade mal 20 Jahre. Der junge Kontinent stellt eine Chance für weltweites Wachstum dar – birgt aber auch Risiken der Destabilisierung. Um massiver Migration in Zukunft vorzubeugen, muss unbedingt in die Bildung und Gesundheit der Bevölkerung investiert werden. Da Kleinbauern ihre Familien oft nicht ausreichend versorgen können, flüchtet die Landbevölkerung in die Slums der Städte. Ein wichtiger Schritt Richtung Zukunft besteht darin, die Landwirtschaft vor Ort zu modernisieren, um die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln zu sichern. Die internationale Entwicklungshilfe bietet dabei Unterstützung und Rat, um Bauern Lagermöglichkeiten für ihre Erzeugnisse zu schaffen und die Erzeugnisse auf die Märkte zu bringen, während Investitionen und Business-Know-how aus dem privaten Sektor mit einfließen. Die landwirtschaftliche Produktion erzeugt ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts in Afrika und ist das vielversprechendste Mittel zu wirtschaftlichem Wachstum. Unter vielen Mitgliedern der afrikanischen Union konnte dank verstärktem Fokus auf die Landwirtschaft die Armut in den vergangenen Jahren deutlich reduziert werden. Mali zum Beispiel konnte den Import von Zerealien beenden und exportiert nun eine halbe Million Tonnen Mais an seine Nachbarländer.
Eher pessimistisch sind allerdings Vorhersagen zu den möglichen Folgen des Klimawandels in Afrika oder Ländern wie Bangladesch, die praktisch unbewohnbar werden könnten. Ein Anstieg des Meeresspiegels könnte allein in Bangladesch 30 Millionen Menschen zur Flucht zwingen und in Ländern Afrikas durch Dürren und extremes Wetter Landwirtschaft unmöglich machen.