Reichtumsverteilung in Deutschland: wie Erbschaften die Gesellschaft spalten
Im Vergleich zum restlichen Europa ist die Reichtumsverteilung in Deutschland besonders ungerecht. Langfristig wird eine starke Konzentration von Reichtum dazu führen, dass Einkommensungleichheiten noch weiter verschärft werden.
In den letzten Jahren sind erstmals detaillierte und vergleichbare Zahlen zum Vermögen von Privathaushalten in Europa zugänglich gemacht worden. Auch die deutsche Bundesbank hat dazu Daten erhoben und wertet diese nach und nach aus. Demnach gehören Bürger mit einem Vermögen von mindestens 486,000 Euro, nach Abzug von Schulden, zu den reichsten 10 Prozent der Hauhalte. Das ist fast achtmal so viel wie das mediane Vermögen der Haushalte, welches bei nur knapp über 60,000 Euro lag.
Bill Gates
Nach Ansicht der Bundesbank erscheinen diese beiden Werte im internationalen Vergleich als relativ niedrig. Zum Beispiel beträgt der Durchschnittswert des Nettovermögens von Privathaushalten in der Eurozone ohne Deutschland 245,000 Euro und der Medianwert liegt bei 140,400 Euro. Die deutsche Bundesbank nennt als mögliche Ursachen für die niedrigeren Werte in Deutschland kleinere Erbschaften als Langzeitfolge des Zweiten Weltkriegs und die gerigne Kapitalanhäufung in Ostdeutschland vor der deutschen Wiedervereinigung.
Manche leben von Kapitalerträgen
Ein höheres Einkommen bedeutet mehr Vermögen – und umgekehrt
Laut Bundesbank ist das Verhältnis von gegenwärtigem Einkommen und Vermögen wie erwartet im Durchschnitt positiv. Das untere Fünftel verfügt über ein durchschnittliches Nettovermögen von 42,100 Euro. Im Vergleich dazu beträgt diese Zahl bei den 10 Prozent mit den höchsten Einkommen 692,400 Euro. Die Verschuldung der Haushalte gibt momentan laut Bundesbank keinen Grund zur Sorge. Im Gegensatz zu anderen Ländern ist Überschuldung in Deutschland kein weit verbreitetes Phänomen. Die Ursachen und Konsequenzen der Ungleichheit der finanziellen Mittelverteilung in Deutschland wurden vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) untersucht. Dafür wurden die Daten einer umfassenden und repräsentativen Studie von Privathaushalten analysiert. Daraus wird ersichtlich, wie sich die Verteilung von Einkommen und Reichtum über einen längeren Zeitraum entwickelt hat. Generell scheint eine hohe Vermögenskonzentration Einkommensungleichheiten zu verstärken. Je größer das Vermögen eines Haushalts im Jahr 2002 war, desto wahrscheinlicher war es fünf Jahre später immer noch relativ hoch.
Das IMK stellte auch ein positives Verhältnis zwischen einem höheren Einkommen (was soziale Transferleistungen ausschließt) und dem Nettovermögen eines Haushalts. Diese Wechselwirkung besteht in beide Richtungen. Auf der einen Seite führt ein höheres Einkommen zu mehr Vermögen, denn Haushalte mit höherem Einkommen sparen einen größeren Teil ihres Einkommens. Auf der anderen Seite bedeutet ein größeres Vermögen auch höhere Kapitaleinnahmen und damit ein höheres Gesamteinkommen.
Zusätzlich erzielen vermögende Haushalte überdurchschnittliche Kapitaleinnahmen. Die starke Konzentration von Vermögen und Kapitaleinnahmen führt dazu, dass eine ungleiche Einkommensverteilung noch verstärkt wird, insbesondere im oberen Bereich der Einkommensverteilung.
Geschenktes Geld?
Vermögensaufbau ohne Erbschaft ist kaum möglich
Jedes Jahr werden in Deutschland circa 400 Milliarden Euros vererbt. Dabei geht es in jeder fünften Erbschaft um mehr als 250,000 Euro und bei jeder zweiten Erbschaft werden Immobilien vererbt. Die ohnehin schon sehr ungleiche Verteilung von Reichtum wird dadurch noch mehr verstärkt.
Hinzu kommt, dass durch die derzeit geltenden hohen Freibeträge nur etwa 14 Prozent der Erbschaften besteuert werden.
Die bestehenden Vermögensungleichheiten werden folglich geradezu zementiert, denn eine Erbschaft oder Schenkung entscheidet meistens, wer es in der jüngeren Generation zu Reichtum schafft und wer nicht. Wenn der Vermögensaufbau ohne eine Erbschaft kaum noch möglich ist, wird dies langfristig zu sozialen Verschiebungen führen, denn Nicht-Erben werden erkennen, dass sie mit ihrer eigenen Leistung die ungleichen Startbedingungen von den Erben großer Vermögen nicht mehr aufholen können. Chancengleichheit und Leistungsprinzip werden durch Erbschaften also untergraben, ein Problem, das Politik und Soziologen zu lösen versuchen. Eine höhere Besteuerung des Erbens wird aber von der wichtigsten Wählergruppe, der gehobenen Mittelschicht mit ihren verhältnismäßig klein ausfallenden Vermögen, aus Eigeninteresse abgelehnt. Denn Erbschaften erlauben hier zwar kein Leben ohne Arbeit, jedoch gewährleisten sie eine gewisse Sicherheit in der von Abstiegsängsten geplagten Mittelschicht. Die Sorge um die Zukunft der eigenen Kinder ist in der Mittelschicht also größer als der Ärger über die hemmungslose Vergrößerung des Reichtums bei den oberen 10 Prozent.
Immobilien werden meistens vererbt
Ein Paradox in der Debatte um große Erbschaften scheint ebenfalls zu sein, dass die Aussicht, den eigenen Nachkommen ein Leben im Wohlstand zu ermöglichen, ein starker Anreiz für unternehmerische Tätigkeiten ist, aber zugleich ein substanzielles Erbe das Unternehmertum in den folgenden Generationen eher zu hemmen scheint, schließlich erzielen dann Kapitaleinkommen sehr viel höhere Einkommen als eigene Unternehmerleistungen.
Ein weiteres Paradox sind die Vermögen der Superreichen, die auch in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation oder Krisen weiter wachsen, obwohl die Anzahl der Superreichen langsamer zunimmt. Menschen mit einem Vermögen von mehr als 30 Millionen Euro sorgen sich nach eigener Aussage stark um den Erhalt des Vermögens und die Vererbung. Einige illustre Vermögende entschließen sich allerdings auch dazu, aus Sorge um den Charakter und die Leistungsbereitschaft ihrer Kinder, diesen keine astronomisch hohen Summen zu vermachen. So werden die riesigen Vermögen des Sängers Sting, Bill Gates und Warren Buffets nach eigener Aussage nicht an deren Kinder weitergegeben. Die sechs Kinder von Sting werden also nur einen kleinen Teil des 300 Millionen-Dollar-Vermögens bekommen. Der Sänger äußerte sich dazu: “Ich möchte meinen Kindern sicherlich keine Treuhandfonds hinterlassen”. “Sie sollen arbeiten. Alle meine Kinder wissen das und bitten mich nur selten um etwas, was ich sehr respektiere und schätze.”
Auch Bill und Melinda Gates geben angeblich jedem ihrer drei Kinder nur 10 Millionen Euro; ein Taschengeld verglichen mit dem Gesamtwert des Vermögens von 76 Milliarden, wovon der Großteil an allgemeinnützige Stiftungen fließen soll.
Warren Buffet merkte zu der Frage, wie viel man seinen Kindern hinterlassen sollte, an: “Es sollte genügend Geld sein, damit sie das Gefühl haben, alles erreichen zu können, aber nicht so viel, dass sie gar nichts mehr tun müssten.”